Andersson, der neue Tierarzt in der örtlichen Tierklinik. Da er sich auch um Pferde kümmert, hast Du ihn bestimmt schon gesehen und festgestellt, dass er nicht nur einen sehr schwedischen Nachnamen hat, sondern auch tatsächlich Schwede ist. Aber, ist Dir auch etwas anderes noch an ihm aufgefallen oder hat er Dir etwas bei Euren kurzen Gesprächen etwas gesagt? Kommt er Dir vielleicht sogar ein bisschen bekannt vor? Denn in Wirklichkeit hast Du ihn bereits kennengelernt. Da war er gerade 10 Jahre alt und Du hattest seine Mutter gedatet, die Tochter der Besitzer der Pferdezucht auf der Du damals gearbeitet hattest. Es war eine sehr renommierte Zucht, aber deswegen hattest Du die Beziehung nicht angefangen, sondern, weil sie einfach gewusst hatte, was sie wollte, und Dich schnell um den Finger gewickelt hatte. Max war da ein Bonus. Um ehrlich zu sein, war er vermutlich der Grund, warum Du so lange bei ihr geblieben und ihr einen Antrag gemacht hattest. Du hast einfach gesehen, dass er einen Erwachsenen auf seiner Seite brauchte. Die Großeltern behandelten ihn wie einen Schandfleck, weil er außerhalb einer Ehe geboren wurde. Für seine Mutter war er ein Hindernis, weil man mit einem Kind eben nicht so viele Männer nach Hause bringen konnte. Vermutlich hast Du auch gehofft, dass sie sich ändert. Aber in den zwei Jahren hast Du Dich erstmal auf Max konzentriert. Er blühte richtig auf, gerade nachdem er Keuchhusten hatte und Du Dich so freundlich um ihn gekümmert hast. Naja, falsches Wort. Max würde eher väterlich und beschützerisch sagen. Für ihn bist Du eben einfach sein Vater. Besonders, seit Du ihn adoptiert hattest. Deswegen hat es ihn auch so gequält, dass seine Mutter fremd ging und er Dir das beichten musste, als er 12 war. Er hatte Angst, Dich zu verlieren, zu Recht. Denn nachdem Du die Verlobung gelöst hattest, kämpften seine Großeltern und seine Mutter gegen Dich, um Dich von ihm fernzuhalten. Etwas, was er auch erst vor kurzem lernte. Denn er hat Deine Briefe gefunden, alle bis zu seinem 18. Geburtstag, bis er wegen seines Studiums umgezogen ist. Und er fühlt sich deswegen auch etwas mies, da er befürchtet hat, dass Du mit ihm nichts zu tun haben willst oder wolltest. Und jetzt ist er geplagt mit den Ängsten, was passiert, wenn er wieder in Dein Leben tritt. Denn nur ein paar Monate nachdem Du weg warst, war er in einem Autounfall und verlor beide Beine. Er fühlte sich sehr einsam, während er aufgewachsen ist. Seine Mutter ignorierte ihn mehr oder nutzte ihn für Sympathien von ihren neuen Freunden. Seine Großeltern machten ein Aushängeschild für ihre Zucht aus ihm. Er musste Turniere reiten, um zu zeigen, wie gut die Pferde auch für Behinderte geeignet waren. Während seines Studiums hatte er dann Freunde, aber falsche. Das merkte er nach seinem ersten Date mit einem Kerl, als er sich zugestand, schwul zu sein. Der Kerl hatte aber nur ihn ins Bett bekommen wollen, um zu sehen, wie jemand ohne Beine aussah. Und seine Freunde machten sich ein bisschen lustig darüber, da es doch klar war, dass niemand in ihrem Alter jemanden wie ihn daten wollten. Und dann fand er eben die Briefe und ist nach Portree gekommen. Mit der hälfte eines Plans. Denn jetzt ist er hier und traut sich nicht, Dich aufzusuchen und zu sagen wer er ist, aus Angst, dass Du ihn nicht mehr sehen willst. Oder eben auch, dass sein Auftauchen und sein Zustand dabei - siehe fehlende Beine - Dir mehr Schmerzen bringen, als seine Schmerzen, die er hat, seit Du nicht mehr in seinem Leben bist.

Und nun kommen wir zu Dir. Du bist ein Ups-Kind. Nicht wirklich ungewollt, aber eben auch nicht geplant. Du kennst daher ein wenig, wie sich Max damals gefühlt hat. Denn Deine Eltern waren deutlich älter als die Deiner Freunde. Dein Bruder war auch nicht so ganz in dem Alter, wo er noch so viel mit Dir spielen wollte. Aber, anders als bei Max, waren sie immer da, wenn Du sie brauchtest. Dein Bruder hat Dich zum Beispiel selbst ins Krankenhaus gefahren, als Du eine Blinddarmentzündung hattest und Dich vor Schmerzen kaum bewegen konntest. Und Deine Eltern haben Dich dabei unterstützt, als Du nach der Schule mit Deinem besten Freund erstmal durch Europa ziehen wolltest. Als kleines Sprachengenie oder zumindest -enthusiast war das für Dich kein Problem. Nach Frankreich, was Euch am nächsten lag, kam Schweden, weil Dein bester Freund dort Verwandtschaft hatte. Ihr wart von Hof zu Hof gezogen. Hier ein paar Monate, dann da. Irgendwann wart Ihr in Lappland bei der Verwandtschaft auf dem Rentierhof, was zu den Pferden, Kühen und Schafen im Vergleich ein echtes Erlebnis war. Deswegen wart Ihr vermutlich auch recht lange dageblieben, bevor Du beschlossen hast, wieder alleine in die andere Richtung zu ziehen und Dich somit langsam wieder auf den Rückweg zu machen. In Falun hast Du dann mit 22 Jahren haltgemacht. Den Teil der Geschichte kennst Du ja schon. Die große Pferdezucht, die Tochter der Besitzer, dessen Sohn. Die Adoption, die Verlobung, der Betrug, das Beziehungsende, der Sorgerechtsstreit, Dein Rückzug nach Portree. In Portree hast Du dann auf der Pferdezucht Deiner Eltern angefangen und immer wieder Briefe an Max geschrieben, in der Hoffnung, dass er sie bekommt und sich ein bisschen besser fühlt. Mit der Zeit hast Du immer mehr Aufgaben übernommen, damit Deine Eltern immer mehr in den Ruhestand kommen. Die Briefe wurden dadurch immer weniger, aber so wirklich vergessen hast du Max in den letzten 13 Jahren nicht. Du hast Dich schon gefragt, was aus ihm geworden ist. Aber vermutlich hast Du Dich damit getröstet, dass seine Mutter sich schon geändert haben wird und er vielleicht einen anderen Stiefvater gefunden hat. Jemanden, der ihn so behandelt, wie Du es getan hättest. Vermutlich bist Du auch deswegen etwas ein Arbeitstier geworden, weil Du nie so richtig über den Verlust und den Betrug von damals hinweg gekommen bist. Aber das sind nur Spekulationen von Deiner Familie und den Freunden. Wie es wirklich in Dir aussieht, weißt nur Du allein. Denn über Deine Gefühle redest Du eher selten.